Menschliches Kap 3

Kieselsteine

 

 In einer kleinen Kieselbucht

 hab´ ich den dort vielleicht versteckten

 kreisrunden Kieselstein gesucht,

 den makellos perfekten.

 

Hab´ unter glatten runden Steinen

 –  milliardenfache große Schar –

 gesucht nach jenem einzig einen,

 der ohne Makel war.

  

Ich hab´ beim Suchen oft geglaubt,

 ich hätte endlich ihn gefunden

 und ih dann freudig aufgeklaubt,

 ihn, den vermeintlich runden,

  

um dann beim näheren Beschau´n

 enttäuschter werdend festzustellen,

 dem Eindruck war doch nicht zu trau´n

 in all den vielen Fällen.

  

Und liefe ich durch tausend Buchten,

 ihn suchend noch mit schwerem Schritt,

 würd´ ihn nicht finden, den Gesuchten.

 Nehm´ einen Stein trotz Mangel mit. 

 

Türen öffnen

 

Türen sehe ich verschlossen,

würde gerne sie durchschreiten.

Schlösser machen mich verdrossen,

sehne mich, mit meinen Possen,

hinter Türen, die verschlossen,

Freude zu bereiten.

 

Möchte gern versperrte Wege

kurzentschlossen mir erschließen.

Freier Geist mag kein Gehege,

und wo er sich regt, da lege

ich nicht Wert auf Gartenpflege,

sondern auf ein freies Sprießen.

 

Blicke gern ins weite Land

und nur selten auf die Füße.

Meine Skrupel, mein Verstand –

alter Trödel, eitler Tand,

der mich fesselte und band. –

Wenn ich ihn nur ließe!

 

Zähne

 

Wenn immer ich gesund mich wähne,

dann melden sich alsbald die Zähne

und machen mir das Leben schwer,

und stören sehr.

 

Ich brauche sie nun mal zum Kauen

und nicht, dass Freunde mich bedauern

Sie sagen vielleicht nur "Au Backe!",

mein Enkel nennt das "Voll die Kacke!"

 

Der Zahn der Zeit nagt an den Zähnen

Ich weiß, dass keine neuen sprießen.

Ich werde beim Menü Auswählen

so mances Mahl nicht mehr genießen.

 

Ich brauche Zähne, um zu essen,

nicht um mich damit durchzubeißen.

`‘Plantate kann ich mir nicht leisten,

verzehre Suppen nun stattdessen.

 

Den Fleischverzehrer zu beneiden –

ein weiser Mann wird das vermeiden,

doch kann  man leichter weiser sein

mit nagelneuen Beißerlein.

 

Vergeben und vergessen

 

„Ach, liebe Frau, nun sag mir doch,

warum du so oft heute noch

von Fehlern sprichst, die ich mal machte

vor Jahren, die du, wie ich dachte,

vergeben und vergessen hast.

Das ist doch wirklich schade!“

 

„Der einz´ge Grund, mein Lieber, ist,

dass du im Leben nie vergisst,

was ich vergessen habe.“

  

Schritt für Schritt

 

Ich lerne, Schritt für Schritt zu gehen,

solang mich meine Füße tragen,

kann durchaus meine Zukunft sehen,

doch sie zu sagen noch nicht wagen.

 

Ich brauch‘ den Stock in meiner Hand,

er balanciert die Beine aus,

mir ist mein Leiden wohl bekannt,

mit Gründen wie ein bunter Strauß.

 

So seltsam, Schritt für Schritt zu gehen,

die Füße setzen mit Bedacht,

und dabei auf den Boden sehen,

bewusst des Körpers schwere Fracht.

 

Doch ist es schön, den Blick zu heben,

vorauszublicken, schweifen lassen.

Da draußen tobt das wahre Leben.

Noch immer will ich dorthin passen.

 

Neid und Mitleid

 

Du wagst  dich  raus

auf eine Bühne,

du kriegst Applaus,

doch  mit Ranküne.

 

Die Leute, die dir Beifall spenden,

sind gar  nicht bei  der  Sache.

Sie klatschen  nur mit ihren  Händen

und denken  schon an Rache.

 

Denn stehst du da im Sonnenlicht,

steht wer in Deinem  Schatten.

Was  du kriegst kriegst, kriegen andre nicht.

Ob sie mehr Recht drauf hatten?

 

Sie werden  dich  erbarmungslos,

wenn es sich  schickt, verlachen,

und du  wirst nackt und bloß

dich  aus dem  Staube machen.

 

Der  Leute Neid ist  schwer erschuftet,

wenn du  ein Mensch  der  Tat bist.

Wenn dein Verdienst  nur heiße Luft  ist,

dann kriegst  du  Mitleid gratis.

 

Die Hand

 

Im „Localino“ kann man speisen,

ein Eis verschlecken, Kaffee trinken

und über Freunde, Leute, Reisen

tief ins Gespräch versinken.

 

Den Eingang sichert rechts ein Ständer,

die breite Stufe führt zur Tür,

doch linker Hand ist kein Geländer.

Ich brauche meinen Stock dafür.

 

Denn will ich das Lokal verlassen,

ein andrer Mann will dort hinein.

Kann weder rechts noch  links was fassen,

steh‘ auf der Stufe und allein.

 

Das sieht der schon erwähnte Mann

und spürt, dass ich mich jetzt nicht traue,

weil so ein Gehstock rutschen kann,

auf dessen Hilfe ich sonst baue.

 

Er streckt mir seine Hand entgegen,

die ich ergreife voll Vertraun.

Sie ist so kraftvoll und voll Segen …

will mehr in meine Worte legen.

Nur „Danke!“ sagen trifft es kaum.

 

Er sah, was ich zu oft versäumte

und tat, was ich zu tun nur träumte.

Mann muss nicht, unbesiegbar sein,

ist manchmal schwach, bedürftig, klein,

nicht lebenslang ein Sieger.

Einmal, zum Schutz, ein Engel sein,

das wär‘ mir lieber.

 

H.-J. Gundlach, 2021

Ein Künstlerfoto

 

Monet, den  alten Maler, traf

vor seinem Haus ein Fotograf.

Der wollte gern ein Foto machen.

Der Künstler sprach mit einem Lachen:

 

„Ja gern, im Mai, im nächsten Jahr.

Fotografieren sie nicht mich!

Stattdessen Blumen, denn fürwahr

sind die mir ähnlicher als ich.

Mein ständiger Begleiter

 

Er lässt mich nie alleine sein.

Bin ich im fremden Land auf Reisen

auf Ibiza vielleicht beim Wein

und bei erles’nen Speisen,

will leicht und locker er dabei sein.

 

Und lese ich ein kluges Buch

sagt er mir, wo ich Freude finde,

auch wenn ich ganz was and’res such‘.

Wie immer ich mich dreh‘ und winde,

sein Geist verfolgt mich wie ein Fluch.

 

Er folgt mir an den Sonnenstrand,

und ist bei mir, wenn ich mich bräune,

zeigt mir Sirenen, braungebrannt,

treibt mich in lustvoll schwüle Träume,

lockt mich in unbekanntes Land.

 

Er lädt mich ein zum Abenteuer,

riskantem Grenzen-Überschreiten.

Zu gerne spielt er mit dem Feuer.

Entdeckt er meine schwachen Seiten,

ist er mir bald nicht mehr geheuer.

 

Er lässt mich treu und zärtlich sein,

doch rät mir zu mehr Raffinesse,

er tauscht die Wirklichkeit für Schein,

so dass ich, was ich bin, vergesse,

und werde gierig, listig und gemein.

 

Er klebt an mir wie süßer Saft,

kein Tag, an dem er von mir wich,

er saugt und stiftet Lebenskraft,

er tröstet und bereichert mich.

Ich liebe diese Compagnie,

ich nenn‘ sie Freundin – Phantasie. 

 

Verschätzt

 

Mein Jugendfreund, der siebzig war,

besuchte mich nach vielen Jahren,

war völlig nass, ganz offenbar

bis zu den grauen Haaren.

 

So steht er tropfnass in der Tür.

„Wie kommt denn das?“, so fragen wir.

Er antwortet beklommen.

„Da ist ein Bach, nicht weit von hier,

den hab ich mal im Sprung genommen.

Doch diesmal war der Bach viel breiter,

und ich sprang nicht entsprechend weiter.

Bin bis zur Mitte nur gekommen.“

 

„Ach schau“, sprach ich, „das kenn ich auch.

Bück‘ ich mich, ist der Boden gar

viel weiter weg von Kopf und Bauch,

als er in meiner Jugend war.“

 

Zeitverschwendung

 

Ich habe Zeit, sie zu verschwenden,

genug, um damit anzugeben,

und möchte, sie dazu verwenden,

sie großzügig mit beiden Händen

auszustreuen und verleben.

 

Du weißt, die Zeit hier ist begrenzt,

doch weißt du nicht, wie viel dir bleibt,

solang sie in der Sonne glänzt

wär’s schade, wenn du das verpennst,

was in und um dir lebt und leibt.

 

Zeit ist nicht da, sie aufzuheben,

wie Spargeld für die alten Tage,

Ich will sie in die Hände nehmen,

und will davon großzügig geben,

bedenkenlos und ohne Frage. 

 

Sterbenskrank

 

Ein Mensch liegt schon im Sterben, letzte Stufen.

Sein Arzt beschließt, es ihm zu sagen:

„Soll ich nach irgendjemand rufen?

Ihr Leben endet in zwei Tagen.“

 

Er hauchte: „Ja!“ Es flackern seine Augen.

„Und wen?“, fragt ihn der Arzt zurück.

„`Nen andern Arzt, weil Sie nichts taugen.

Das wär mein ganzes Glück.“

  

Behindert

 

Man sieht, dass ich behindert bin,

und möchte mir gern beisteh‘n.

Ich  bin wie kleine Kinder  sind

und will alleine geh‘n.

 

Doch wird mir endlich offenbar,

dass es mir nicht gelingt.

Es ist in meinem Kopfe klar,

dass Sturheit Unglück bringt.

 

Doch fällt es mir verteufelt schwer,

die nackten Fakten zu erkennen,

vermisse meine Freiheit sehr,

mag mich von ihr nicht trennen.

  

Parkgedanken

 

Ein kurzer Weg am Fluss entlang,

gepflastert für die Rollatoren,

und ab und zu mal eine Bank,

ein Trost für Mütter und Senioren..

 

Ich bin so gern in diesem Park,

seh‘ Menschen, die vorüber gehn,

die einen schwach, doch andre stark:

Verbindung scheint nicht zu besteh’n.

 

Die Mutter: Kind noch festgezurrt

in einer Karre, Mama schiebt.

Der Kleine quirrlt und quakt und murrt

und will, dass man ihm Freiheit gibt.

 

Er will hinaus ins bunte Leben,

will auf den kleinen Füßen steh‘n,

will mutig nach Entdeckung streben,

und seine eig’nen Wege geh’n.

 

Die Mutter spürt’s und macht ihn los,

bereit, ihn nochmal zu entbinden,

sein Freiheitsdurst so riesengroß,

noch will er Halt und Hilfe finden.

  

Er greift nach ihrer rechten Hand,

kann kaum auf eignen  Füßen  stehn.

Doch all die Wunder, die er fand,

sind nicht das, was wir heute seh’n:

 

Wir sehen ausgebeutet und verpestet

die Menschen und auch ihr Planet!

Er findet schön, was karger Rest ist

von dem man weiß, dass er vergeht.

 

Entdeckt er etwas, das ihn freut,

will er es seiner Mutter zeigen,

die ihn zu warnen sich noch scheut.

Ihr Sohn will leben, und wird leiden.

 

Sie scherzt mit ihm und bleibt gelassen

in dieser Welt, so aus dem Lot.

Es schmerzt sie, ihr Kind loszulassen,

zu eig‘nem  Leben, eig‘nem  Tod.

 

Da ist Gewalt und da sind Hiebe,

die jeder Mensch gibt und sich holt,

die nackte Gier, zu wenig Liebe,

zu wenig Mut und zu viel Not.

  

 

Zwei Kiesel

 

Die beiden Kiesel, die ich fand

am meeresfeuchten Kieselstrand..

Der eine war wie Morgenrot,

der andre samtig dunkelrot.

Sie sahen wie ein Pärchen aus.

Ich nahm sie beide mit nach Haus.

 

Am Strand, millionenfach bedeckt

von Kieseln, hab ich sie entdeckt

die beiden, deren Farbe leuchtet,

wenn sie das graue Meer befeuchtet.

Ich hoffte, dieses Leuchten bliebe

wie Glanz von unsrer jungen Liebe.

Wenn ich nach diesen Steinen schau,

sind sie genau wie Steine grau.

Sie könnten neben vielen liegen,

durch nichts von andern unterschieden.

Ihr Farbenspiel ins Licht zu setzen,

muss man sie mit dem Meer benetzen.

 

Zur Hochzeit

  

Weil Ihr beide es mit Lieben

sicher oft und gern getrieben,

schreib‘ ich Euch, da das bequemer,

ein Gedicht zu diesem Thema,

hoffe, dass es Euch gefällt

und dass Eure Liebe hält.

 

Liebe ist das zarte Bäumchen,

das nicht ganz von selbst gedeiht,

Liebe ist ein leichtes Träumchen

und ein Feld, das leicht verschneit.

 

Liebe sind zwei weiche Arme

und dazu ein warmer Leib,

Liebe ist zwei Lippenpaare

und ein Duft, der hängenbleibt.

 

Liebe ist an sie zu denken,

wenn ihm gar nicht danach ist,

Liebe ist den Kopf verrenken,

um zu sehen, wo Du bist.

 

Liebe regt sich in Gedanken,

die Dich plötzlich warm durchfluten,

sich um gute Worte ranken,

gute Taten blind vermuten.

 

Liebe kann man nirgends halten,

weil es ihr an Ösen fehlt,

Liebe kann dann richtig walten,

wenn man sie beseelt.

  

Liebe zählt nicht, wieviel Jahre

sie denn insgesamt wohl währt.

Liebe ist so wie das Bare:

Man spürt sehr, wenn man´s entbehrt.

 

Wie Ihr seht, die Liebe macht sich

rätselhaft und doch beachtlich,

uns verzaubernd und voll Mythen

rar und schwer zu hüten

wie ein ganz besond’rer Schatz,

der an keinem festen Platz,

sondern hier und dort verweilt

und von ganz allein enteilt,

wenn der, dem er anvertraut,

ihn versaut.

 

To tell you more

I will not dare,

think it a bore

and leave it there.

What love is really all about

you have to find out for yourself

then tell the world about it loud

don’t put your love onto a shelf,

where dust will slowly settle down,

but go and take your love to town.

  

Bunt wie der Herbst

 

Ich wünsche mir den Herbst des Lebens

so feurig bunt, wie es der Wald ist,

die Blätter leuchten nicht vergebens,

wenn’s im Oktober noch nicht kalt ist

 

und ich im Park die Bank besetze,

die Ruhe in mir selber finde

und mich am Farbenrausch ergötze,

von Angst und Ärger mich entbinde.

 

Ich möchte meinen Traum bewahren,

dass Menschen sich doch sehr bemühen,

die Wahrheit über sich zu sagen,

und hilfsbereit sind und auch kühn,

 

die Farben ihrer Seele zeigen,

den Glanz, der ihnen innewohnt,

und sich vor Jenem auch verneigen,

der dunkle Winkel nicht verschont.

 

Wenn Äste kahl und kalt sich recken

zum Himmel und im Sturm sich beugen

und Schnee und Eis den Boden decken –

was wird von meinem Leben zeugen?

 

Bin ich ein Blatt verweht im Wind?

Erinnerung, die weiterlebt?

So flüchtig, wie die Blätter sind?

Ein Fädchen, und dann eingewebt?

 

In einen Teppich  ohnegleichen?

Wird mir dies Schicksal reichen?

 

…alles was sein ist

 

Wir saßen eines Nachts mal  wieder

in unserm Fischlokal  am  Hafen.

Die Boote waren  schon am  schlafen

und klirrten  leis‘ im Auf und Nieder,

das  Radio spielte Seemannslieder.

 

Ein großer  Mann betrat  den  Raum

mit einer  jungen   Frau  daneben.

Er wollte ihn heut Abend leben

den langgehegten Lebenstraum,

den  Weltmann wollte er heut geben.

 

Ließ  seine Seemannsblicke schweifen,

die die Begleiterin nur streiften,

nach  einem  Platz, der  zu ihm passte,

den  er dann auch  am  Ende fand.

Er war  des  Sieg’s  gewiss und fasste

besitzergreifend  ihre Hand.

 

...und Tschüss

 

Ich hab’ die Menschen angeseh’n,

in London, München und Schanghai,

in Meinersen und Rhauderfehn,

und eigentlich ist’s einerlei,

wo sie einander überseh’n.

 

Sie tun’s mit lächelndem Gesicht.

Sie sagen: „Na, wie get´s denn so?“

Und hören: „Gut, dir etwa nicht?“

Und lächeln freundlich und sind froh,

dass jedem es an nichts gebricht.

 

„Nein, mir geht’s gut! Und wie geht’s dir?“

„Auch gut.“ Was denkt man sich dabei?

„Ach grüß doch deine Frau von mir!“

„Man sieht sich!“ – „Tschüss!“ – „Mach’s gut!“ – „Bye bye!“

Und schon ist wieder zu die Tür.