Trauriges Kap 1

 An der Front

(frei nach de Mello)

 

Soldat war er, vorn an der Front,

hielt tapfer stand und hatte Glück.

Sein Freund – der hat das nicht gekonnt,

der kommt am Abend nicht zurück.

 

„Mein Freund ist nicht zurückgekehrt,

ich will ihn suchen, lasst mich gehn!“

„Bedaure, die Erfahrung lehrt,

ich werd´ auch dich nicht wieder sehn!“

 

Soldat geht an die Front bei Nacht,

und kehrt zurück mit Todeswunden,

in seinen Armen, mitgebracht,

den toten Freund, hat ihn gefunden.

 

„Was fiel dir ein, ich hab´s verboten!

Hätt´st du dein Leben doch geschont,

und nicht geopfert für den Toten!

Hat sich dein Einsatz nun gelohnt?“

 

„Gelohnt? – Mein Freund war noch lebendig,

sprach sterbend mir in mein Gesicht:

‚Ich hoffte auf dich so inständig,

und wusste, du verlässt mich nicht!’“

 

Wie soll ich’s sagen?

 

Wie soll ich‘s diesem Kind nun sagen?

Die Oma hat sie sehr geliebt.

Sie stellt mir jetzt genau die Fragen,

auf die es keine Antwort gibt.

 

Was lehrt uns die Biologie

vom Werden und Vergeh‘n?

Hilft einem Kind Analogie,

den Tod der Oma zu versteh‘n?

 

„Und Opa, wirst auch Du mal sterben?

Und stirbst du vielleicht bald?“

Ich red‘ vom Wachsen und Verderben,

weiß nicht, wie’s widerhallt.

 

Vom Fortbestand der Seelen,

vom Himmel und dem Paradies,

mag ich ihr nicht erzählen,

denn ich bezweifle dies;

 

denn niemand, den ich kenne,

hat je von dort berichtet,

und, was ich Wahrheit nenne,

ist tröstlich. Doch erdichtet?

 

„Sie hat nun keine Schmerzen mehr,

und schläft ganz tief und fest.

Und träumt von uns und liebt dich sehr,

weil du sie ruhen lässt.“

 

Ich höre meinen falschen Ton,

bin Blinder unter Blinden.

Und gäb’s den lieben Gott nicht schon,

dann müsst‘ ich ihn erfinden.

 

Treffpunkt

 

„Es tut mir Leid, Chef, ich muss geh‘n,

 weit weg, vielleicht bis Amsterdam.

Hab‘ auf dem Markt den Tod geseh’n.

Und deshalb, Chef muss ich wohl geh’n –

Er schaute mich so drohend an.“

 

„Nanu, hab‘ heut mit ihm gesprochen,

dem Tod. Er war nur sehr erstaunt,

Er denkt, du hättest ihn gerochen,

und wärst schon lange aufgebrochen –

Er schien mir doch recht gut gelaunt.

 

Er sagt, er  trifft dich ganz bestimmt,

und das vertraute er mir an,

der Ort, die Zeit und wie man’s nimmt,

das  alles sei doch vorbestimmt –

am Hauptbahnhof von Amsterdam.“

Allahs Segen

 

Ich sah den Bettler in  Dakar,

wie man dort fremde Bettler sieht:

Den Bart, sein ungepflegtes Haar

und ein Gewand, das löchrig war,

die Hand, die man zu sehn, vermied.

 

So hockt er vor der Hauptmoschee.

So sehenswert in diesem Land!

Sie drängen mich in seine Näh,

ich werf, als ich vorübergeh,

ihm eine Münze in die Hand.

 

Mein Muslim-Freund, der mich begleitet,

hält mich am Arm zurück:

„Du hast dem Manne Schmerz bereitet,

wie man das hier im Land vermeidet.

Dein Geld ist nicht sein höchstes Glück.

 

Er ist ein achtenswerter Mann!

Verneige dich vor dem Gesicht.

Gib ihm die Münze, schau ihn an,

wie er den Kopf neigt und sodann

dir Allahs Segen spricht.“

 

Ich habe mir dann angeschaut,

wie alle Spender sich verbeugten,

und habe es mich dann getraut:

Hab‘ voll in sein Gesicht geschaut,

sah seine Augen leuchten.

 

Begräbnis

 

Es wurd‘ ein reicher Mann begraben,

gedämpftes Weinen, Trauern, Klagen.

Ein Mann dort klagte überlaut –

Hab‘ ihn zu fragen mich getraut:

 

„Sie standen ihm besonders nah,

vermute ich, sind Sie sein Sohn?“

„Ach nein“, sagt der, „denn wär‘ das wahr,

dann hörte man mich lachen schon.

 

Doch ohne Erbberechtigung

da bleibe ich ein armer Hund,

der hat, so will mir scheinen,

doch guten Grund zu weinen.“

 

Fotos

 

Mann in einem fremden Land,

dein Bild zeigt Bart, nicht dein Gesicht,

es zeigt die Waffe in der Hand.

Du hockst auf kaltem Fels und Sand.

Du tust, wie immer es dir geht,

nicht das, wonach der Sinn dir steht,

nur die verdammte Pflicht.

 

Frau in einem fernen Land,

dein Bild zeigt Tuch vor dem Gesicht.

Du bleibst im schwarzen Frau´ngewand

ohne Form und unbekannt.

Ob krank, gesund,

alt oder jung,

man sieht es nicht.

 

Kind in einem armen Land,

dein Abbild zeigt dich lachend, weinend.

Du streckst sie aus die kleine Hand

nach Brot, Milch oder buntem Tand,

die Augen groß und nicht verstehend,

das namenlose Elend sehend

und wie kein andres leidend.

 

Allerseelen

 

Die Toten im Grabe – sie spüren es nicht,

sie dürsten und hungern und frieren nicht.

 

Ob ihre Seelen uns dennoch belauschen,

gelegentlich durch unser Leben rauschen,

 

nur anwesend scheinen,

wenn wir um sie weinen,

und uns bedauern,

wenn wir um sie trauern?

 

Die Seelen der Toten – was geht es sie an?

Was sorgt um die Frau sich ein toter Mann?

 

Sehnt sich ein Toter

nach dem Glück seines Lebens,

das er einst hatte,

und sehnt sich vergebens?

 

Und streitet im Grabe

noch um seine Habe?

Oder ist er gescheiter

und kämpft nicht mehr weiter?

 

Er ist doch gestorben und ist doch nun fort

Hätt‘ er eine Seele, dann fand sie den Ort,

 

der angenehmere Ruhe ihm gab

als dort auf dem Friedhof sein kaltes Grab.

 

Trauer

 

Du schleppst noch Deine Trauerfälle

und leidest unter ihrer Last

von dieser zu der andren Stelle‚

Doch überschwemmt dich eine Welle

von Trauer dort, wo sie nicht passt.

 

Siehst Menschen, die vorübereilen,

und denkst dir, was sie wohl so treibt.

Du siehst im Park sie, stumm verweilen,

ihr Frühstück mit den Enten teilen,

und fragst dich, wo die Trauer bleibt.

 

Wird jeder Mensch zum Trauerfall,

wenn ihn sein Schicksal von uns reißt?

Es bleibt von ihm ein Widerhall,

doch sehr viel mehr als Rauch und Schall,

der unsern Weg uns weist.  

 

Krieg – ferngesehen

 

Ein Bombenblitz. Die Nacht erreißt!

Ein Antlitz, grau, vom Helm entstellt,

das Zähne fest zusammen beißt,

von Hass und Angst erzählt.

 

Hat er beim Schießen eine Wahl?

Gehorcht er nur Befehlen?

Sind Schäden nur kollateral?

Wird dieses Bild ihn quälen?

 

Ein Haus zerstört, ein Bombentrichter,

zwei Kinderbeine unter Schutt.

Wo ist für solche Tat der Richter?

Was ist in unsrer Welt kaputt?

 

Ein Mann im langen weißen Hemd,

ein schwarzer Bart und braune Haut.

Er weint und zeigt so ungehemmt,

wem er vertraut:

 

Der Kamera, die seinen Schmerz

der Welt vor Augen  führt.

Die Hände ringend himmelwärts.

Ob sich dort etwas rührt?