Ärgerliches Kap 1

Auf weißem Tuch ein Fleck

 

Der alte Herr links neben mir

erzählt von seinem Sohne:

Sein ganzer Stolz, des Vaters Zier,

gemacht wie ihm zum Lohne.

 

Da ist kein Makel und kein Fehl.

Aus seinem Glück und seiner Freude.

macht er in keiner Weise Hehl,

es hören alle Leute.

 

Doch plötzlich unterbricht er sich.

Er schaut mich an mit einer Frage:

„Und Ihre Kinder? Sicherlich

sind sie auch keine Plage!“

 

Mein Herz ist so von Trauer voll.

Ich weiß nicht, was man tut,

ob oder wie ích´s sagen soll,

und fasse dennoch Mut:

 

„Mein Schwiegersohn aus Afrika

er durfte hier nicht bleiben.

Es schien, als wären viele da,

ihn aus dem Land zu treiben.

 

Man handelte nach Pflicht und Recht.

Man gab ihm keine Chance.

Und Frau und Kindern ging es schlecht,

sie fielen jäh aus der Balance.“

  

Der alte Herr sprach von mir weg,

das sei ja gar nicht angenehm,

als wär´s auf weißem Tuch ein Fleck,

und machte sich´s bei alledem

zum andren Nachbarn hin bequem.

 

Haftprüfung

 

Die Richterin ist jung und schmal,

trägt enge Hosen an den langen Beinen.

Wir stehen vorm Verhandlungssaal

und sehen sie vorübereilen.

 

Sie trägt ein Schicksal mit sich ´rum,

ein Häftling, schwarz, aus Afrika,

und seine Kinder fragen dumm:

„Wann kommt nun endlich der Papa?“

 

Und sie hat keine Blicke für

die Ehefrau, die Kinder, mich.

Sie steht in ihrer „Richter“-Tür

und ist total bei sich.

 

Kein Nicken, keine Freundlichkeit,

Justitias Effizienz.

Es ist ja auch die „Öffentlichkeit“

verfahrensrechtlich ausgegrenzt.

 

Der Häftling wird herbeigeschafft,

mit Fesseln an den Händen.

Vier Wochen Untersuchungshaft!

Nun wird sich alles wenden.

 

Für einen Händedruck ist Zeit:

„Wir sind ja hier, wir sind bei dir!“

Dann ist die Richterin soweit,

und hinter ihr schließt sich die Tür.

 

Als sie nach einer halben Stund´,

die sich zu vielen Stunden dehnt,

sich öffnet, formt des Anwalts Mund:

„Der Antrag – schade, abgelehnt!“

  

Die Kinder steh´n mit großen Augen,

man streichelt ihren Rasterschopf,

und kein Erklären kann hier taugen,

es geht nicht rein in ihren Kopf.

 

Die Briefe, die sie ihm gekritzelt,

der Wachtmann nimmt sie, leicht gerührt,

doch ihr Vertrauen ist zerschnitzelt:

Ihr Vater, der wird abgeführt.

 

Fremde Stadt

 

Ich bin durch eine Stadt gegangen

in einem fremden Land

und wusste dort nichts anzufangen,

niemand war mir bekannt.

 

Ich wollte meinen Charme erproben,

sah jeden freundlich an.

Kein Mensch schien den Versuch zu loben,

niemand nahm Anstoß dran.

 

Ich bleib´ mit meinem Witz allein,

mein Lächeln ist vergeblich,

verschließe mich und schick´ mich drein.

Es schmerzt, nicht unerheblich.

 

Die Bosheit der leblosen Dinge

 

Der Ziegelstein, der auf den Kopf dir fällt,

das Tischbein, das dir ein Beinchen stellt,

die Schnur, die sich um deine Beine wickelt,

das Jucken, das dir in der Nase prickelt

so dass bei deinem ersten Kuss

du niesen musst.

 

Das Rotweinglas, das aus der Hand dir flutschte,

die Hose, die dir in die Kniekehlen rutschte,

und als beim zärtlichen Liebesspiel

der Kronleuchter von der Decke fiel,

so dass ein jähes Ende nahm,

der Liebeswahn. …

 

Auch Menschen können biestig sein

und sich an deinem Unglück freu’n,

doch was ich am liebsten erzähle und singe

das ist die Bosheit der leblosen Dinge.

  

 

 

Die „Krone der Schöpfung

 

Man stelle sich die Erde vor,

und zwar mal völlig ohne

(als wäre man ein reiner Tor,

nicht wissend, dass man sie verlor)

der Schöpfung sogenannte Krone.

 

Das Schöpfungswunder wär´ perfekt,

ganz ohne einen Makel.

Was Gott am Ende ausgeheckt

und was in seinen Menschen steckt,

das führte zum Debakel.

 

Ob jene je die Wunder sah´n,

die dann die Botschaft hörten:

´Macht euch die Erde untertan!´

´Was Gott tut, das ist wohlgetan!´

Ob sie die Wunder störten?

 

Die Erde, ihnen anvertraut,

und aller Reichtum der Natur –

die Menschen haben sie versaut

und Menschenwerk auf Sand gebaut

und herrschen nur.

 

Da war einmal ein Schmetterling …

 

Hab‘ heut den Schmetterling geseh’n,

die Pfauenaugen weiß umringt.

Ich blieb vor ihm verzaubert steh’n.

Er war braunrot und wunderschön,

verständlich, dass man ihn besingt.

 

Er flatterte durch meinen Garten,

verweilte auf den Frühlingsblüten,

ich sah, als er vor mir verharrte,

die Flügel, Fühler, alles Zarte,

und wie gemacht, es zu behüten.

 

Er flog davon und kam nicht wieder,

mein Garten ist nun wie ein Grab.

Es kamen auch nicht seine Brüder,

verklungen sind die schönen Lieder

vom Schmetterling, den es mal gab.

 

Und auch die Bienen zogen fort.

Da summt nichts mehr, nur Totenstille.

Nichts stört den Rasenmäher-Mord,

kein Vogelruf fällt mir ins Wort –

Ich hatte mal des Lebens Fülle.

 

Um mich zu trösten torkelt schwer,

gemütlich brummend, kreuz und quer,

durch‘s Blumenbeet, als wenn nichts wär‘,

die Hummel. Doch sie offenbart:

„Ich bin die Letzte meiner Art.“.

 

Hund entlaufen

 

Ein Hund war plötzlich im Café,

doch niemand, dem das Tier gehörte.

Er schnüffelte so am Büffet.

Und dabei tat er keinem weh,

nur dass er etwas störte.

 

Der Wirt mag ihn nicht grob vertreiben,

die Nacht ist dunkel, nass und kalt.

„Da ist ein Hund nicht zu beneiden.

Mir wird nichts andres übrig bleiben,

ich nehm´ ihn mit, er soll nicht leiden,

sein Frauchen meldet sich wohl bald!“

 

Doch niemand in den nächsten Tagen,

der den Verlust gemeldet hat.

Der Wirt meint: „Ach, was soll man sagen!

Vielleicht gibt´s gar nichts zu beklagen,

vielleicht scheint´s besser, nicht zu fragen.

Hat man nicht manchmal Spielzeug satt?“

 

Ich wär‘ fürwahr ein armer Hund,

wenn man mein Fehlen nicht beachtet.

Verschließe ich mir nicht den Mund

und sehn‘ mir laut die Seele wund,

werd‘ ich sehr bald verachtet.

 

...und Tschüss!

 

Ich hab’ die Menschen angeseh’n,

in London, München und Schanghai,

in Meinersen und Rhauderfehn,

und eigentlich ist’s einerlei,

wo sie einander überseh’n.

 

Sie tun’s mit lächelndem Gesicht.

Sie sagen: „Na, wie get´s denn so?“

Und hören: „Gut, dir etwa nicht?“

Und lächeln freundlich und sind froh,

dass jedem es an nichts gebricht.

 

„Nein, mir geht’s gut! Und wie geht’s dir?“

„Auch gut.“ Was denkt man sich dabei?

„Ach grüß doch deine Frau von mir!“

„Man sieht sich!“„Tschüß!“„Mach’s gut!“„Bye bye!"

Und schon ist wieder zu die Tür.

 

Fifty-fifty

 

Der Angeklagte war geständig.

„Hab‘ Fleisch von Pferd und Huhn vermischt,

und zwar bewusst und eigenhändig.

Und dabei hat man mich erwischt.“

 

„Nun machen Sie uns bitte klar“,

so fuhr der Richter fort,

„wie denn genau die Mischung war.

War ‘Fifty- fifty‘ nicht Ihr Wort?“

 

„Ja“, sprach der Mann, „ich weiß das noch,

Das war die reine Wahrheit.

‘Ein Pferd pro Huhn‘, versteht sich doch.

Was fehlt da noch an Klarheit?“

 

 

Unser täglich Tod

 

Das Morden hört wohl niemals auf,

im Krieg nicht und auf Buchpapier,

das rote Blut rinnt seinen Lauf,

ein Mensch seufzt seinen letzten Schnauf,

am Leben bleiben wir.

 

Und treffen täglich uns’re Wahl,

im Ersten, Zweiten oder Buch,

den Tod mit oder ohne Qual,

die Kugel Blei, die Klinge Stahl,

das letzte Wort, ein Schrei, ein Fluch.

 

Ein Kommissar tritt auf, ein Mann -

der Täter wird gefunden.

Wie es ein Mörder machen kann?

Wie wär’s, wir kämen einmal dran

für ein paar Runden?

 

Wenn Gift man uns ins Bierglas träufelt,

uns aus dem Fenster stürzt,

uns auch im Badesee ersäufelt,

Beton auf unsern Körper schäufelt -

Wie immer man das Sterben würzt.

 

Die kriminelle Phantasie,

und sei sie purer Schein,

sucht Spannung statt Monotonie.

Und find‘ ich Mordmotive nie,

muss doch der Tod dabei sein.

 

So seltsam, was wir Menschen treiben,

wenn wir den Hass, Verrat und Mord

wie fasziniert uns einverleiben,

ja selbst in unsre Bücher schreiben

und setzen so den Wahnsinn fort.

  

Ich will mir nicht die Birne füllen

mit Bildern, die mich schrecken,

die meine dunklen Triebe wecken,

mich hinter Bösen feig‘ verstecken,

statt mich mir selber zu enthüllen.

 

Wie wird sich dieses Morden rächen,

das uns’re Seelen still vergiftet?

Wer ist‘s im täglichen Verbrechen,

in diesem Hauen, diesem Stechen,

der unser‘n Herzen Frieden stiftet?

 

Ich wünsche mir das Krimi-Buch

mit einem weisen Kommissar,

der hinter Gier und Hass und Sucht

die tieferen Motive sucht,

dann wird Auf-Klärung wahr.

 

Und für das böse Weltgeschehen

‘ne Kommissarin von Format.

Wir würden nicht mehr Krimis sehen,

stattdessen ihr zur Seite stehen,

mit (unser’m) Rat und (uns’rer) Tat.

 

Konflikte lösen ohne Sieger,

wird das dann ihr Konzept sein?

Die heißen und die kalten Krieger,

und jene dreisten Überflieger …,

sperrt sie die endlich ein?

 

Wird es so einer Frau gelingen?

Weiß sie, was gut und böse ist?

Und wird sie Recht und Ordnung bringen,

in eine Welt, die necrophil und wie von Sinnen

jedwede Menschlichkeit vergisst?

 

Denkmal

 

Ich geh´ in jeder kleinen Stadt

in jedes kleine Pärkchen,

sofern sie so was Schönes hat,

seh´ mich an bunten Blüten satt

in einem Blumengärtchen.

 

Dort find´ ich meistens eine Bank

vor einem Denkmal steh´n.

Und meistens kann ich, Gott sei Dank,

verweilen dort, kurz oder lang,

um es mir anzuseh´n.

 

Und meistens ist´s ein Sohn der Stadt,

der auf dem Sockel steht.

Ob nicht für irgendeine Tat

die Stadt auch eine Tochter hat,

die zu verehren geht?

 

Sie haben kalte Steingesichter,

die in die Weite schauen.

Selbst Denker, Musiker und Dichter

seh´n aus wie unbeugsame Richter.

Und warum keine Frauen?

 

Man stellt sie überlebensgroß

auf ihre hohen Sockel.

Zählt ihre großen Taten bloß,

als wär´ ihr Leben atemlos,

und macht sie so zum Gockel.

 

Ich schaue mir ein Denkmal an

und denke dran.