Schuldbekenntnis
Er ist ein Mensch, verehrungswürdig
und hochgeachtet in der Stadt,
dem reinsten Engel ebenbürtig,
der gar nichts auf dem Kerbholz hat.
Er redet leise, lächelt gütig,
so selbstlos sanft und zugewandt,
dem frommen Christ, so edelmütig,
sind Wut und Gier ganz unbekannt.
Er ist kein kleines bisschen neidisch,
und kennt auch keine Hassgefühle
nur in der Kirche ist er heimisch
und mag der dicken Mauern Kühle.
Beim Sonntagskirchgang stets der erste,
sein Platz wird dort schon respektiert.
Askese, selbst die allerschwerste,
für ihn scheint sie wie reserviert.
Doch plötzlich fehlt er viele Wochen,
wir munkeln, doch wir wissen´s nicht.
Er habe irgendwas verbrochen.
Man hört, er stünde vor Gericht.
Dann kehrt er eines Tags zurück.
„Wo warst du? Du hast uns gefehlt?“,
so fragen wir. Er hebt den Blick.
„Im Knast!“, so sagt er und erzählt:
„Ich stand am Bahnhof, und ein Mädchen
mit rotem Kopf beschwerte sich.
Sehr hübsch ist sie, bekannt im Städtchen.
‚Dort steht der Schuft!’, wies sie auf mich.
‚Er ist mir immer nachgestiegen
und hat ganz schamlos mich berührt.
Ein Schmerzensgeld will ich jetzt kriegen.
Er hätt‘ mich um ein Haar verführt.’
Ein Polizist kommt, führt mich fort.
Doch vor Gericht klagt sie mich an:
‚Er war es. Er hat es getan!’
Der Richter glaubte ihr kein Wort.
‚Bin schuldig!‘, habe ich geschworen.“
„Warum denn das?“, so fragen wir.
„Das Weibsbild lügt, ganz unverfroren,
du konntest doch gar nichts dafür!“
Da lächelt der mit grauen Haaren
und murmelt: “Um ein Haar verführt!
Das hat mich seltsam angerührt.“
Und während er den Bart sich streichelt,
ein Mann von fünfundneunzig Jahren,
sagt er: „Ich fühlte mich geschmeichelt.“
Geträumt– versäumt
Ich war grad siebzig als sie fragte:
„Sei ehrlich, schenk mir reinen Wein,
Hast du in deinem Leben was versäumt,
nur insgeheim davon geträumt?“
Ich überlegte lange, bis ich sagte:
„Mir fällt dazu nichts Rechtes ein.“
Und gab die Frage an sie weiter:
„Was, liebe Freundin, fällt dir ein?
Sag, was denn deine Träume waren,
die nie in deinem Leben reiften.“
„Ach ja“, sprach sie, ganz frei und heiter,
„Zwei Dinge fallen mir da ein.
Ich konnte nie Motorrad fahren
und niemals auf zwei Fingern pfeifen.“
Der weise Richter
Dem weisen Richter, irgendwann,
erzählt ein Mensch von Diebstahlsfällen:
„Ein Dieb bestiehlt mich, doch ich kann
den Täter gar nicht stellen.“
„Die Tür ist schuld! Schützt nicht genug
dein Haus. Ich will sie strafen!“,
war dieses Richters Urteilsspruch,
„mit fünfzig Hieben, aber scharfen!“
Das war sein Wort: „Die Ladentür,
sie wird bestraft. Soll jeder sehen.
Nun bringt sie hier zum Marktplatz mir.
Vor aller Augen wird´s geschehen.!“
Bald sah man auf dem Marktplatz stehen
die Tür und alle, alle kamen,
um diesem Schauspiel zuzusehen,
im größtmöglichen Rahmen.
Die Tür tat keinen einz´gen Schrei.
Dann war die Prozedur vorbei.
Der Richter neigte sich zur Tür
und fragte wer´s gewesen sei.
Sein Ohr war nah bei ihr.
Und richtete sich schließlich auf,
um es der Menge zu verkünden:
„Die Tür sagt mir, verlasst euch drauf,
ihr werdet ohne Zweifel auf
des Täters Turban Spinnweb finden.“
Da hob ein einz`ger Mann die Hand,
um seinen Turban zu betasten.
Was man in seinem Hause fand,
genügte, um ihn zu belasten.
Beim Zahnarzt
Meine Zahnärztin ist weiblich,
und das ist auch sehr zu seh´n,
ihre Praxis, unbeschreiblich,
atmosphärisch angenehm.
Um den Hals krieg´ ich ein Lätzchen,
pastellig blaues Krepppapier,
und der Stuhl wird nun mein Plätzchen,
denn so sanft weist man ihn mir.
Lange, bange drei Minuten,
dann begrüßt sie mich ganz sacht.
Doch der Grund bleibt zu vermuten,
warum ihre Stimme lacht,
wenn sie mir präzis erklärt,
was sie heut zu tun gedenkt.
Trotzdem bin ich unbeschwert,
wenn sie ihren Bohrer lenkt.
Trotzdem öffne ich den Mund,
kneife zu dafür die Augen.
Ich bin jetzt ein Zahn-Befund,
außerdem gibt´s was zu saugen.
Kopf - er dröhnt und stöhntund brummt.
zischt und rattert, pfeift und summt.
Mund – mit Masse schon gefüllt,
glubscht und kleistert , knirscht und quillt
Vor dem lächelnden Gesicht
kann ich jeden Schmerz verwinden,
zeige meinen Jammer nicht
und beklag´ nicht mein Befinden.
Backenzahn – ist zu entfernen,
muss ich blass und bleich nun lernen.
Wurzel – wird ganz neu gefüllt,
was den Zahnschmerz auch nicht stillt
Vorderzahn – wenn es sich lohnt,
wird er teuer überkront.
Eckzahn – ach, den lass´ ichsteh´n,
der wird noch ´ne Weile geh´n.
Was von rechts und links man tut
an mir Armen in der Mitte
Sie versteh´n ihr Handwerk gut,
und bei mir die stumme Bitte:
„Wenn´s doch endlich erst vorbeí wär!
Wie ist mir schon ganz egal!“
Geduldig sein fällt mir so schwer,
leicht das Ende dieser Qual.
Und dann beiß ich frohen Mutes
in ein T-Bone-Steak vom Rind.
Knochen sind für uns nichts Gutes,
weil wir keine Hunde sind.
Denn da knirscht und knackt es deftig
in der Brückenkonstruktion,
und dann schimpf ich laut und heftig
erstmal nur durch´s Telefon.
Bin ich in den nächsten Tagen
wieder am vertrauten Ort,
hab ich keinen Grund zu klagen:
Jede kleinste Art von Schaden
repariert man freundlich fort.
Zügellos
Elektro-Lok auf dem Geleise –
Sie fährt alleine ohne Zug
auf irgendwie beschwingte Weise,
als wäre sie sich selbst genug.
Als hätte sie sich losgerissen
und ihrem Dienstherrn g´rad verkündet:
„So´n Zug zu zieh´n ist echt be-scheiden!“
Ob er nicht eine and´re findet.
Sie weiß nicht, wie die Reise endet,
sie fährt drauflos und gibt sich preis
dem, der dann eine Weiche wendet
und lenkt sie. - Auf ein Abstellgleis?
Nein, auf ein Nebenstreckchen,
vorbei an Wiesen, Wäldern, Seen!
An einem traumhaft schönen Fleckchen
lässt sie ihr Stahlgehäuse steh´n.
Statt sinnlos hin und her zu flitzen,
hat sie nun Zeit zu meditieren,
bleibt zwar auf ihren Gleisen sitzen,
kann geistig sich emanzipieren.
Zipperlein
Kaum bist du vom Schlaf erwacht
und entschließt dich aufzustehen,
merkst du wo es knatscht und kracht:
Deines Körpers Alterswehen.
Manchmal steckt die Teufelei
in dem Schmerz der Fingerglieder,
du entdeckst ihn plötzlich neu
oder alte Schmerzen wieder.
Manchmal ist es nur dein Hals,
den du dir hast steif gelegen,
oder deine Lenden, falls
du beschließt, sie zu bewegen.
Manchmal kribbeln deine Zehen
oder gar der ganze Fuß,
und du kannst darauf nicht stehen,
was ein jeder aber muss.
Deine Kniegelenke knirschen
beim Versuche, sie zu beugen.
Dich an Strümpfe ranzupirschen,
musst du dich erst überzeugen.
Will das Bücken nicht recht glücken,
musst du wohl kapitulieren,
holst sie aus nicht freien Stücken
dir dann doch auf allen Vieren.
Schlimm wird´s, steigst du in die Hose,
stehst dabei auf einem Bein,
denn dein Standpunkt wird recht lose,
und du lässt das Stehen sein.
Auch das Hemd hat seine Tücken,
wenn du deine Arme reckst,
dabei Schultern und den Rücken
unversehens senkrecht streckst.
Dass man Drehung der Gelenke
auf des vollen Kreises Viertel,
klug und mit Bedacht beschränke,
wünscht sich dann der Schultergürtel.
Armschmerz stoppt dich auf dem Klo
bei hygienischer Verrichtung
hinterrücks im Nirgendwo…
Doch hier sträubt sich meine Dichtung.
Doch beim Frühstück, frisch gewaschen,
ist vorbei der ganze Schiet,
nicht mal dich kann überraschen
dein gesunder Appetit.
Rauchen
Manche netten Menschen brauchen
nichts zu essen, weil sie rauchen.
Zwar wird Husten schlimm und schlimmer.
doch der Körper slim und slimmer.
Dass ein Körper, der kein Fett hat,
dafür viel mehr Lust im Bett hat,
wird zwar immer angepriesen,
ist noch lange nicht erwiesen.
Teergeschmack bleibt auf der Zunge,
Blauer Dunst erreicht die Lunge,
und das Nikotin bleibt hängen,
so dass Adern sich verengen,
was, so weiß man, gar nicht gut ist
für den raschen Fluss des Blutes,
und des Herzens frohes Hämmern,
wird dann irgendwann verdämmern.
Rauchst du viel und rauchst du Kette
um die Wette Zigarette,
wird man sehen, und zwar baldig:
Deine Haut wird grau und faltig.
Außerdem, das unterschätzt man,
und denkt allenfalls zuletzt dran,
kostet Duft der weiten Welt richtig Geld.
Willst du dich vom Laster lösen,
diesem lästigen und bösen,
fällt mir nur ein Ratschlag ein:
Lass es sein!
Liebe Leute, hört euch´s an,
und hört weg und gönnt euch fun!
Abstinenz nur und Askese –
das wär´ ausgesprochen Käse!
Für den Husten und die Blase
trinkt den Wein, raucht Gauloise!
Dieser Rat ist abgefeimt –
Hauptsache, dass er sich reimt.
Drei Wünsche
(frei nach de Mello)
Ein Mann hat täglich im Gebet
den Herrgott um was angefleht,
der ihn dann eines Tags beschied:
„Drei Wünsche noch sei´n dir gewährt.
Und dann ist Schluss! Hast du gehört?“
Der erste Wunsch war gar nicht schwer,
er liebte seine Frau nicht mehr
und wollte sie so gerne los sein.
Doch schon bei der Beerdigung
bat er Gott um Entschuldigung:
„Ach bitte, lass sie wieder leben,
den zweiten Wunsch will ich dir geben.“
Und so geschah´s. Sie kam zurück.
Ein Wunsch noch frei. Wofür ihn nehmen,
bei so viel anderen Problemen?
Wie wär´s mit Reichtum und Gesundheit?
Mit Liebe, mit Unsterblichkeit?
Er konnte sich nicht recht entscheiden.
Nach Jahren fragte Gott mal an:
Wann ist dein dritter Wunsch denn dran?“
„Ach, Herr, ich weiß nicht, sage mir,
was ich mir wünschen soll von dir.“
Gott lachte: „Da weiß ich was Feines.
Wünsch dir doch dass du glücklich bist,
mit dem, was dir gegeben ist.
Darin liegt das Geheimnis.“